Ein ostdeutsches Künstlerleben: Götz Schallenberg in Schnepfenthal

Schnepfenthal (Landkreis Gotha). Die GutsMuths-Gedächtnishalle würdigt den Maler und Grafiker zum 70. Geburtstag. Sie präsentiert den Salzmannschüler als "geachtet und geächtet".

Der Maler, Grafiker und Bildhauer Götz Schallenberg in Waltershausen-Schnepfenthal vor zwei Bildern seines Triptychons "Kain und Abel" von 2009. In dem biblischen Brudermord entdeckte der Künstler vor sechs Jahren jüngste deutsch-deutsche Geschichte. Foto: Marco Kneise

Es scheint zunächst alles halbwegs glatt zu laufen. Der 14-jährige Götz Schallenberg, zum Zweck des Abiturerwerbs aus Luisenthal an die Salzmannschule nebst Internat gekommen, erhält dort 1959 das erstes Zeugnis: Es kündet vom Einser-Schüler; eine Zwei nur in Staatsbürgerkunde.

Drei Jahre später ist alles anders: "Götz hat in seinen schulischen Leistungen gegenüber den vergangenen Jahren stark nachgelassen", notiert der Klassenlehrer. Er vermerkt, in diesem Kontext, auch: "Seine ganze Liebe gehört der Malerei."

In jenem Schuljahr hatte Götz unter anderem ein kräftiges Gemälde geschaffen: Zwei dunkle Arme recken sich darauf empor, die Hände greifen in Stacheldraht, dahinter brennt es lichterloh. "Solidarität" heißt das Bild: ein Titel wie eine Schutzbehauptung. Der junge Schallenberg reflektierte, was 1961 hinter Eisenach geschah: Die innerdeutsche Grenze wurde aufgerüstet. Lehrern in Schnepfenthal erklärte er aber, er zeige hier den Freiheitskampf in Afrika.

Über ein halbes Jahrhundert später entsteht das Triptychon "Fall der Mauer". Die Acrylbilder mit Collagen von 2014 zeigen ein gelbes Männchen im Piktogrammstil. Es steht vor der Mauer, reißt sie dann ein, wird schließlich darunter begraben.

Schwiegersohn des Malers Otto Nagel

Das ist so ungefähr die Klammer, in der sich diese Ausstellung abspielt und das Künstlerleben, dem sie sich widmet. Der politisch denkende Maler und Grafiker Götz Schallenberg, soeben 70 Jahre alt geworden, artikuliert in Bildern gleichsam sein Hadern mit Aufstieg und Fall der DDR. Hier liegt sein Thema, nicht untypisch für solche Künstlerbiografien: So, wies war, schiens schwer erträglich. So, wies wurde, auch.

"Gestern in dieser Zeit", heißt diese Ausstellung treffend, die in der GutsMuths-Gedächtnishalle Schnepfenthal zu sehen ist, mit insgesamt über 40 Bildern. So hängt gleich neben der "Solidarität" das Triptychon "Christus wirft das Kreuz ab", ein Farbholzschnitt vom Oktober 1989. "Dinge hinter uns lassen, nach vorne schauen", so beschreibt Schallenberg seine Intention dabei. Es gelang ihm, in der Gesamtschau, wohl nicht ganz.

Die Vernissage geriet zum Klassentreffen, angeführt von Hans-Christian Piossek (Erfurt) und Wolfgang Möller (Wahlwinkel). Sie brachten die Retrospektive des Mitschülers an den gemeinsamen "Ausgangsort selbstständigen Denkens", so Piossek. Sie verließen ihn "voller Träume, Illusionen und Pläne", landeten hart im real existierenden Sozialismus.

Götz Schallenberg sowieso. Nach einem Jahr als Bühnenarbeiter am Landestheater Eisenach ging er zum Kunststudium nach Berlin. Dort heiratete er Sibylle Nagel, Tochter des Malers und Kommunisten Otto Nagel. Götz Schallenberg wurde 1973 Leiter des Otto-Nagel-Hauses, wo auch seine Frau arbeitete. Beide verließen es 1979 "aus Protest gegen die Kulturpolitik der DDR". Nach der Biermann-Affäre habe er es im System nicht mehr lange ausgehalten, so Schallenberg heute.

Unausgesprochenes Berufsverbot in der DDR

Es folgte: ein nie ausgesprochenes Arbeits- und Ausstellungsverbot. Wie systematisch es durchgesetzt wurde, erfuhr er erst nach 1990, aus seinen Stasi-Akten. Das Paar ließ sich auf einem einsamen Gehöft auf der Grenze zwischen Brandenburg und Mecklenburg nieder.

"Geachtet und geächtet" nennt sich Schnepfenthals Ausstellung im Untertitel. Sie zeigt unter anderem mehrere Selbstporträts in Öl, auch die "Unbeantwortete Frage" von 1962: der junge Schallenberg blickt weit ins Ungewisse, die Hände nach oben gewendet, leer. Drei folgende Selbstbildnisse (1966, 1968, 1970) lassen ihn immer härter und finsterer blicken.

Das Triptychon à la Schallenberg aber dominiert: Geschichte(n) in drei Szenen. So zeigt er in starken Holzschnitten "Quo vadis" 1988 die Ausreise des Sohnes in den Westen; im ersten Bild sieht man Bruder und Schwester in tragischer Pose, als wären sie Orest und Elektra. Geschwister anderer Art malt Schallenberg 2009 in der Acryl-Reihe "Kain und Abel": im biblischen Brudermord sieht er junge deutsch-deutsche Geschichte, mit Sieger und Besiegtem.

Besiegt vom Finanzkapitalismus erlebt sich der Künstler selbst. Eine Geldanlage ruinierte ihn, weshalb er 2009 in einem eher schwachen Materialdruck aus dem Logo der Deutsche Bank ein Roulettespiel machte. Blickt Schallenberg auf sein Werk, glaubt er, Geschichte wiederhole sich. Motive bleiben, Kontexte ändern sich. Und er denkt: "Mal ich was Neues? Ich hab doch alles schon gemalt!"

Geöffnet bis zum 22. März: Dienstag 10-13, Mittwoch 13-17, Sonntag 14-17 Uhr.

Michael Helbing / 25.02.15 / TA

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